Afghanistan, Klima und Lena

Seit diesem Sommer arbeitet Lena Stolze bei Kosmopolis.org als Program Assistant. Wir freuen uns sehr, dass sich Lena entschieden hat, bei uns mitzumachen. Die Bilder aus Afghanistan haben sie, wie viele von uns, geschockt, traurig und wütend gemacht. Als Stimme der jungen Generation haben wir sie eingeladen, Ihre Haltung und Meinung hier im Blog zu veröffentlichen.

Hier ihr Text. Danke, Lena!

 

 

Was Afghanistan mit der Klimakrise verbindet

Mein Name ist Lena Stolze, ich bin 22 Jahre alt und studiere aktuell Politik- und Wirtschaftswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Neben meinem Studium arbeite ich als Program Assistant bei Kosmopolis.org und habe hier die Möglichkeit erhalten, diesen Text zu verfassen. Dieser Kommentar ist eine Reaktion auf die erschreckenden Bilder aus Kabul und aus der Frustration gegenüber dem politischen Handeln der Bundesregierung entstanden.

 

Was sich in diesen Augenblicken in Kabul und ganz Afghanistan abspielt, ist an Fehleinschätzungen und menschlichem Versagen kaum zu übertreffen. Während der Abzug der Truppen und die ursprüngliche Involvierung in die Politik des Landes Raum für Diskussionen lassen, handelt es sich beim im Stich lassen der Ortskräfte und Einwohner um ein bewusstes Inkaufnehmen des Verlustes von Menschenrechten und -leben. Diese tragischen Vorfälle stellen jedoch keine Ausnahme für die Bundesregierung Deutschlands dar, sondern reihen sich ein in eine traurige Liste der Ereignisse, bei denen durch eine schnellere Reaktion und entschiedeneres Handeln unserer Regierung zahlreiche Menschenleben hätten gerettet werden können. Warum die Ereignisse in Afghanistan jetzt ein Umdenken in unserer politischen Landschaft hervorrufen könnten und was diese mit der Klimakrise verbindet, soll in folgendem kurzen Kommentar erläutert werden.

 

Handlungsunfähigkeit der deutschen Bürokratie

Um eine Katastrophe, wie sie sich gerade in Kabul abspielt, abzumildern, sind schnelle Reaktionen und ein geschultes Management vonnöten. Obwohl die sich entfaltende Situation durch den Vormarsch der Taliban bekannt war, sind keine erleichterten Visaverfahren für Ortskräfte und deren Familien in Kraft getreten, wie dies z.B. in den USA der Fall war. Deren Beantragung waren für Deutschland weiterhin nur von Afghanistan direkt möglich – alles außerhalb gilt als sicheres Herkunftsland. Marcus Grotian, Hauptmann der Bundeswehr und Gründer des Patenschaftsnetzwerkes für afghanische Ortskräfte berichtet, dass seit Juni kein einziges Visaverfahren angelaufen sei.

 

Krisen wie diese fordern ein Umdenken im Umgang mit Situationen, die ein schnelles Handeln und keine langwierigen bürokratischen Vorgänge benötigen. Auch in Zukunft werden uns zahlreiche Krisen erwarten und möchte unsere Bundesregierung gegen diese gewappnet sein, ist eine Umstellung der Prozesse vonnöten.

 

Nach dem Wahlkampf ist vor dem Wahlkampf

„2015 darf sich nicht wiederholen.“ Ein Satz, der angesichts der aktuellen Ereignisse jedem Menschenrechtsaktivisten kalte Schauer über den Rücken jagt, wirkt wie das neue Wahlkampfmotto der CDU. Ein solches Statement von einem Kanzlerkandidaten in Stunden, in denen sich Menschen verzweifelt von außen an Flugzeuge klammern – wie ein Lachen ins Gesicht von Flutopfern, die Stunden zuvor ihr komplettes Hab und Gut verloren haben. Ein Antrag der Grünen zur Evakuierung der Ortskräfte in Afghanistan wird am 23. Juni von den Regierungsparteien und AfD abgelehnt, Grüne und Linke stimmen dafür, die FDP enthält sich. Im August hält Innenminister Seehofer immer noch an Abschiebungen nach Afghanistan fest, trotz des Vorrückens der Taliban.

 

Die Strategie, die hinter dieser menschenrechtsverachtenden Flüchtlingspolitik steht, ist leicht zu identifizieren: das Generieren von Wählerstimmen auch am rechten Rand. Die aktuell stärkste Partei Deutschland entscheidet sich gezielt zu Aussagen wie „2015 darf sich nicht wiederholen.“, um einen weiteren Verlust ihrer Wähler wie nach 2015 in Richtung AfD nicht zu riskieren. Die Menschen in Afghanistan, die dafür mit ihrer Sicherheit und ihrem Leben bezahlen müssen, bleiben hinter der anstehenden Bundestagswahl weit zurück.

 

Ein ähnlich unbeliebtes Thema wie Flüchtlingspolitik ist die Klimakrise. Ausreichende Strategien zur Bekämpfung dieser sind nicht einmal bei den Grünen zu finden. Die ständige Orientierung an Wählerstimmengenerierung wird es auch in Zukunft nicht zulassen, eine zukunftsgerichtete Umweltstrategie zu etablieren. Wir und unsere Zukunft werden so von der deutschen Regierung genau so im Stich gelassen wie die Ortkräfte und deren Familien, die nun in Kabul auf ihren Tod warten.

 

Listen to the science?!

Schon seit Mai warnen die Vereinten Nationen vor dem Vormarsch der Taliban. Der Antrag der Grünen im Juni wird vom CDU-Abgeordneten Thomas frei mit einem Kommentar abgelehnt, dass die Sicherheitslage in Afghanistan in den Distrikten unterschiedlich zu bewerten sei. Am Montag räumt Außenminister Maas schließlich ein, die Lage falsch eingeschätzt zu haben. Eine Evakuierung aller Ortskräfte und deren Familien kommt zu diesem Zeitpunkt viel zu spät.

Im Juli desselben Jahres fordert eine Flutkatastrophe mehr als 150 Todesopfer in Deutschland. Ernste Warnungen gibt es bereits Tage vorher, die drastischen Vorhersagen reichen jedoch nicht für eine rechtzeitige Evakuierung der betroffenen Gebiete aus.

Von der Corona-Pandemie möchte man gar nicht erst anfangen. Fast schon willkürlich wirken die Dauer-Lockdowns und Impfstrategien der verantwortlichen Politiker, während Wissenschaftler:innen und Virolog:innen in Talkshows um Aufmerksamkeit kämpfen müssen.

 

Das gezielte Ignorieren von Wissenschaftler:innen und Expert:innen seitens unserer Bundesregierung zeigt sich in Katastrophen wie aktuell in Afghanistan schmerzlich genau. Wenn diese Politik nicht in der Lage ist, auf solche Warnungen entsprechend zu reagieren, wie können wir davon ausgehen, jemals eine politische Lösung für die Klimakrise zu finden? Unsere politische Landschaft ist geprägt von Außenministern, denen das Verständnis für ernste außenpolitische Lagen fehlt; Kanzlerkandidaten, die ausschließlich auf Stimmenfang fixiert sind und Wahlprogrammen, von denen kein einziges für eine zukunftsgerechte Klimapolitik einsteht.

 

Die Menschen in Kabul haben keine politische Freiheiten mehr. Wir schon: in Wahlen, auf der Straßen, durch offene Meinung. Dies ist meine.

 

 

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