Wahlen 2021 - ein Erfahrungsbericht

Alex, du hast dich dieses Jahr die Wochen vor der Bundestagswahl 2021 viel engagiert und Menschen für die Wahl mobilisiert. Was genau hast du gemacht und warum?

Ich hatte mich bereits bei der letzten Bundestagswahl für eine Partei engagiert, indem ich hauptsächlich Plakate geklebt und Menschen über die Wahl informiert habe. Dabei habe ich gemerkt: Wahlen fühlen sich besser an, wenn man selbst mitmacht. Die Zeit vor einer Wahl ist eine einzigartige Phase, in der man mit Menschen in Berührung kommen und über Politik sprechen kann.

Bei der Wahl dieses Jahrs habe ich mich in den Bürgerplattformen Berlin engagiert. Diese arbeiten nach dem System des Community-Organizing, das heißt dass die Zivilgesellschaft Menschen dazu aktiviert, ihr Recht der demokratischen Mitbestimmung an Wahlen und generell wahrzunehmen. Unser Ziel war dabei vor allem, Menschen über die Wahl zu informieren – Menschen, die z.B. nicht perfekt Deutsch können, für die der Prozess sehr kompliziert erscheint und vor allem auch Menschen, die in Vierteln wohnen, in denen sehr wenig gewählt wird. Außerdem haben wir durch verschiedene Veranstaltungen versucht, einen Dialog zwischen den Wähler*innen und den zur Wahl stehenden Vertreter*innen herzustellen.

 

Hast du denn Unterschiede in der allgemeinen Stimmung im Gegensatz zur Bundestagswahl 2017 erlebt?

Bei der letzten Wahl war ich hauptsächlich auf dem Land in Bayern, dieses Jahr in Berlin – also in meinen beiden Lebensorten – unterwegs. Gleich ist auf jeden Fall, dass es Menschen gibt, die glauben, mit ihrer Stimme nichts bewegen zu können. Aber wenn man dann – oft nur 5 Minuten – mit diesen Menschen über dieses Thema spricht, ist es möglich, ihnen den Glauben an die Wirksamkeit der Stimme zurückzugeben.

Sehr anders war, war dass wir bei der letzten Wahl verstärkt ins Ausland geblickt haben durch u.a. Trump, und auch die AfD war noch ein stärkeres Thema. Dieses Jahr glaube ich, dass sich vor allem durch die verschiedenen Parteien-Optionen mehr Gespräche ergeben haben. Der Hauptunterschied war also ein stärkerer Blick auf Deutschland selbst als bei der letzten Wahl.

 

Was motiviert dich zu deinem politischen Engagement?

Ich möchte, dass alle Menschen die Möglichkeit haben, mit Wahlen und auch im vorpolitischen Raum, Politik mitzugestalten. Dabei ist es vor allem wichtig, dass wir die Dinge so erklären und gestalten, dass sie alle verstehen können. Dazu gehört nicht nur eine einfache Sprache, sondern auch direkter Dialog. Bei den Bürgerplattformen motiviert mich, dass ich mit Menschen im Dialog bin, mit denen ich sonst wahrscheinlich nichts zu tun haben würde und die Chance habe, mich mit einem Ort und den Menschen in meiner Gesellschaft zu vernetzen.

 

Wann hast du mit deinem Engagement begonnen?

Community Organizing und Bürgerplattformen habe ich früher lange beruflich begleitet als Stiftungsmanager, jetzt als ehrenamtlich Engagierter. Allgemein war Politik aber immer schon ein Thema in meinem Leben und ich habe immer verschiedene Wege gesucht, mich einzubringen. Ich glaube, wir müssen es noch einfacher machen, gemeinsam an politischen Themen zu arbeiten – das Wort „Bürgerbeteiligung“ ist dabei für mich oft zu kurzgefasst.

 

Was ist für dich der wichtigste Aspekt deines Engagements?

Für mich persönlich ist es, dass ich im Kleinen sagen kann, dass ich einen Beitrag geleistet habe und in diesen Zeiten einer Wahl mit Menschen in Kontakt kommen kann, die ich sonst nie treffe – und das bereichert mich ungemein.

Was möchtest du mit deiner Arbeit erreichen, hast du eine gesellschaftliche Vision?

Ich möchte gerne, dass die Menschen – sei es in Berlin oder in Bayern – nicht denken, dass sie keinen Beitrag leisten können. Dafür braucht es mehr Dialog und mehr Miteinander-Sprechen, mehr Gestaltungsmöglichkeiten für Bürger*innen schaffen. Mein Wunsch ist, dass du unabhängig von deinem Geldbeutel und Wohnort genauso viel gestalten kannst wie andere.

 

Was ist deine schönste Erinnerung an dein Engagement zur Wahl 2021?

Mich hat es sehr gefreut, dass der noch-regierende Bürgermeister von Berlin Michael Müller uns als Bürgerplattformen Anerkennung ausgesprochen hat. Und zwar Anerkennung in der Form, dass wir gleichwertig und wichtig sind.

 

Wie haben die Menschen auf euch und euer Anliegen reagiert?

Ich bin mit Fatih vom Mehrgenerationenhaus Wassertorkiez durch dieses Viertel in Kreuzberg gelaufen. Während wir an über 1000 Türen in diesen meist Hochhäusern geklopft haben, fanden es die meisten Leute gut, dass wir gekommen sind. Es gab wirklich nur eine kleine Handvoll von Menschen, die unser Anliegen nicht verstanden haben. Ganz oft hatten die Leute auch einfach Redebedarf, weil sie zum Beispiel nicht ganz verstanden haben, wie die Wahl funktioniert, es gab aber auch Menschen, die nicht wählen dürfen, weil sie zum Beispiel noch keinen deutschen Pass haben oder nicht den richtigen ausländischen Pass – die aber ihre Anliegen hervorgebracht haben und über Dinge gesprochen haben, die sie gerade bewegen. Dass wir überhaupt gekommen sind – unabhängig von einer Partei – das fanden die meisten Menschen gut und hatten Lust, mit uns über Politik zu sprechen.

 

Wie lange hat der Kontakt zu den Menschen, an deren Türen ihr geklopft habt, durchschnittlich etwa gedauert?

Das ging von ganz kurzen Konversationen, ob man Wählen geht oder nicht, auch bis zu tieferen Gesprächen von etwa fünf Minuten.

 

Welche Schwierigkeiten mussten du und deine Kollegen überwinden?

Es gab ein paar politisch frustrierte Menschen, die nicht mit uns sprechen wollten, die meisten sind uns aber sehr positiv begegnet. Wichtig wäre es vor allem, mehr Informationen aus unabhängigen Institutionen heraus zu haben, die einfach erklären, wie man wählt und warum es wichtig ist zu wählen. Mein Wunsch für die nächste große Wahl ist auf jeden Fall, dass wir früher damit anfangen, auf Menschen zuzugehen und sie zu informieren. Am Ende ist eine Wahl eine gesellschaftliche Verantwortung, mit der wir über die Macht in unserem Land bestimmen. Und ich denke, wenn das den Menschen wieder klarer wird, dann ist schon viel gewonnen.

 

Welche Tipps hast du für Menschen, die sich ebenfalls gerne politisch engagieren möchten?

Man sollte sich überlegen, ob man eher der programmatische Typ ist– also jemand der gerne über Parteiprogramme spricht oder in Gremien unterwegs ist, denn dann ist wahrscheinlich eine Partei der richtige Weg. Hat man dagegen ein Thema oder konkretes Anliegen, öffnen sich zahlreiche Wege, sich in der Zivilgesellschaft zu engagieren. Sei es aktivistisch in Form von Greenpeace oder ähnlichen Organisationen, die advokatisch unterwegs sind. Man kann auch ganz einfach seine politische Haltung in seinem Tun ausdrücken, indem man sich beispielsweise in der Flüchtlingshilfe engagiert. Und wenn ich es dann noch schaffe, mich nicht nur um Menschen zu kümmern, sondern gemeinsam mit ihnen ihre Lebenssituation zu verbessern, dann ist das für mich auch politisches Handeln. Ich für mich merke immer mehr, dass mir letzteres am wichtigsten ist.

 

Möchtest du zum Abschluss noch irgendetwas loswerden?

Ich würde mich freuen, wenn die Zivilgesellschaft in Deutschland noch viel stärker sagt: Die Wahlen sind unser Moment, politisch in den Dialog zu treten. Das fände ich gut. Und wenn noch mehr Menschen die Bürgerplattformen in ihrer Arbeit auch finanziell unterstützen. Alles Infos dazu hier: https://www.communityorganizing.de/unterstuetzen

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