Julia Pfinder über Nachhaltigkeit

Julia, Du arbeitest schon seit 15 Jahren mit einem Thema, mit dem wir heute fast täglich konfrontiert werden: Nachhaltigkeit. Wann bist du das erste Mal mit dem Thema Nachhaltigkeit in Berührung gekommen?

 

Mein erster Zugang zum Thema war im Studium - unter dem Aspekt (fehlgeleiteter) Entwicklungszusammenarbeit. Praktisch fand ich den Einstieg in die internationale Partnerschaftsarbeit unter dem Begriff  "Globales Lernen”. Als Organisationsberaterin habe ich dann Unternehmen dabei unterstützt, eigene Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln. 

 

Was verstehst du unter dem Begriff Nachhaltigkeit und wie hat sich diese Bedeutung in den letzten 15 Jahren verändert?

 

Kurz gesagt: Heute und hier nicht auf Kosten von morgen oder woanders leben.

Der Begriff Nachhaltigkeit wird ja immer noch über den Förster Carl von Carlowitz und seinen Grundsatz, nicht mehr Bäume zu fällen als nachwachsen, definiert. Das Adjektiv "nachhaltig” wird aber weiterhin und viel zu oft auch als langfristig/dauerhaft verwendet und verwässert den Begriff. Bei allem Wunsch nach Ausgewogenheit von Ökologie, Ökonomie und Sozialem, was ja auch so eine gängige Definition ist, wird mittlerweile viel mehr Fokus auf planetare Grenzen und damit als die Ökologie als Grundlage allen (wirtschaftlichen, sozialen) Lebens betrachtet. Und: Mittlerweile tritt der Begriff "regenerativ" in den Vordergrund, weil es ja leider nicht mehr reicht, "nachhaltig" zu agieren, sondern auch eine Art Heilung von bereits zerstörten, unwiederbringlichen Ressourcen erfolgen muss. Beispiel CO2: Die Modelle gehen ja mittlerweile nicht mehr nur davon aus, dass wir CO2 einsparen, sondern auch speichern bzw. konstruktiv umwandeln müssen, um das 1,5 Grad Ziel zu halten. Wir kommen also nicht darum herum, immer wieder neu zu definieren und ein gemeinsames Verständnis zu schaffen: Sprechen wir über den Prozess der Transformation? Über das Erreichen von Nachhaltigkeitsziele? Haben wir Zielkonflikte im Blick? Geht es um das Mindestmaß oder Übertreffen von “do nor harm” und auf welche Aspekte von Nachhaltigkeit beziehe ich mich genau?

Hierfür gibt es ja etliche Narrative. Am bekanntesten sind international wohl die Sustainable Development Goals - und da arbeiten auch alle wieder mit unterschiedlichen Rastern. 

 

Was braucht es denn deiner Meinung nach, damit Nachhaltigkeit gelebt werden kann? 

 

Innovation und Experimentierfreude, Fehlerfreundlichkeit und Wissensmanagement, Genügsamkeit und Demut, Open Source und Vernetzung, Konflikt- und Kooperationsfähigkeit.  

 

Wann hast du gemerkt, dass “dein” Thema jetzt in der öffentlichen Diskussion angekommen ist?

 

Den einen Moment gab es da sicherlich nicht. Vor ungefähr zehn Jahren habe ich eine Zeitlang mit einer Kollegin zusammengearbeitet, um eine ISO-Norm zum nachhaltigen Veranstaltungsmanagement zu vermitteln, ihr Schlagwort war “Nachhaltigkeit Reloaded” - das war auch damals schon so, dass der Nachhaltigkeitsbegriff abgedroschen erschien und er offenbar einen Neustart benötigte. Seit dem ist er nun wirklich überall angekommen - mit den oben beschriebenen Begleiterscheinungen, dass eben auch jede*r ihn unterschiedlich auslegt - weshalb wir konkrete Rahmenrichtlinien benötigen, gerade für Unternehmen, die Produktion, das Finanzwesen, die öffentliche Beschaffung. 

 

Wie erlebst du den öffentlichen Umgang mit der Thematik, denn Nachhaltigkeit taucht überall auf, doch was bedeutet es letztendlich?

 

Hier kommt es natürlich stark auf das eigene Umfeld, die eigene “Bubble” an. Ich erlebe da eine sehr starke Diskrepanz, zwischen dem, wie viel über das Thema Nachhaltigkeit gesprochen wird und was sich tatsächlich verändert. Man muss dabei oft sehr genau hinschauen, um zu verstehen, ob es sich um Greenwashing und Marketing handelt oder ob ein Unternehmen tatsächlich Anerkennung für ihr Nachhaltigkeitsmanagement verdient. Trotzdem muss man sich auch immer wieder auf die positiven Veränderungen fokussieren, die ohne Frage stattfinden. Mein Bezug sind aktuell vor allem Kommunen, da tut sich wirklich viel. Ein Beispiel hierfür ist die BNE VISION 2030 der Stadt München, die mit ca. 340 Maßnahmen die Verankerung von Nachhaltigkeit in der Münchner Bildungslandschaft erreichen möchte. Ich durfte diesen Prozess drei Jahre lang begleiten und sehe in diesem einen aktiven Beitrag, um Nachhaltigkeit in unserer Gesellschaft zu verankern. Aber auch kleine Landkreise arbeiten an ihrer Nachhaltigkeitsstrategie, überlegen sehr genau, welche Hebel sie nutzen können, um ihr Engagement zu erhöhen. Ganz ohne Überlegungen in diese Richtung kommt kaum noch eine Entität aus. Die einen sehen es eben sportlicher und strengen hängen sich voll rein. Andere bemühen sich mehr um den Antlitz nach außen. 

 

Was gehört zu einem erfolgreichen Nachhaltigkeitsmanagement alles dazu?

 

Ein in sich stimmiger Prozess aus Bewusstsein schaffen, alles in den Blick nehmen, Status-Quo Ermittlung, beteiligungsorientierter Strategieentwicklung und Zieldefinition, Umsetzung, Monitoring, Evaluation und Fortschreibung. Und einem geeigneten iterativen Vorgehen, sprich auch zwischendrin Prozesse  immer wieder neu zu justieren, damit es noch besser klappt. Viel Aushandlung, Klärung, Menschen motivieren mitzumachen - all das gehört dazu.  

 

Verbunden damit fällt immer öfter das Stichwort Kreislaufwirtschaft. Revolutionäre Neuausrichtung oder doch nichts Neues?

 

Komplett neu ist das ja nicht, zum Teil ja auch eine Rückbesinnung auf das, wie es früher üblich war: dass die Produkte möglichst oft  wiederverwendet, repariert, aufgearbeitet und recycelt werden, um den Lebenszyklus zu verlängern. Ich bin alt genug, um mich an diese Sprüche zu erinnern: Das kann man noch gebrauchen! Die Neuausrichtung bedeutet wohl vielmehr, dass es nun gemeinschaftlich organisiert ist. Mich fasziniert dabei, wie viele Akteur*innen dazu zusammenarbeiten müssen, damit Produkte schon im entsprechenden Design und Material hergestellt werden, wie viele Aspekte ineinander greifen, aufeinander abgestimmt sein müssen: Das umfasst ja nicht nur Produktdesign und Herstellung, sondern auch den Vertrieb und die nutzerzentrierte Verwendung, den Prozess des Überarbeitens, die Sammlung, das Recyclen - da gibt es so viele Potenziale das zusammen zu denken und zu optimieren. Wir sind ja richtig gut in der Logistik von Vertrieb und Marketing, um Produkte an die Kundinnen zu bringen, aber wie sammeln wir sie effizient wieder ein? Und dann geht es ja auch darum, Materialien zu nehmen, die leicht voneinander zu trennen sind und energiearm wieder aufbereitet werden und nachwachsen können. Von dem her: Ob Neuausrichtung oder nicht, das wird ja in weiten Teilen noch überhaupt nicht berücksichtigt.  Ein weites Feld, um sich rasant zu verbessern, weiterzuentwickeln und Akteursgruppen miteinander in Kontakt zu bringen - und auch, Innovation zu begleiten. Also auch ein weites Feld für Kosmopolis.org

 

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